Die Oera-Linda-Chronik oder Oera-Linda-Handschrift (OLH), wurde 1872
vom Niederländer Jan Ottema (1804-1879) als uralte Familienüberlieferung
der friesländischen Familie Over de Linden der Öffentlichkeit in
Buchform präsentiert. Aufgrund ihres unglaublichen Inhaltes wurde sie
seit ihrem Erscheinen bereits als Fälschung abgetan. Als eine
Untersuchung des Papiers der Handschrift ein Alter von „jünger als 1850“
ergab, schien die Erkenntnis der Fälschung besiegelt. Indes gab es schon
früh Ungereimtheiten; so soll Cornelis over de Linden (1811–1874), der
die Familienchronik in seinem Haus aufgefunden haben wollte, bereits
1848 seinem Vorgesetzten von seinem Fund der Überlieferung berichtet
haben, doch erst 1867 ging er damit an die Öffentlichkeit und fand zum
Verleger Jan Ottema.
Unbestritten war immer, daß der Inhalt der Chronik abgeschrieben oder
aus einzelnen älteren Überlieferungen zusammengeschrieben und der Inhalt
verschiedenen Anpassungen unterworfen worden sein mußte. Doch angesichts
von Überlieferungen, die in den OLH erscheinen und erst im Laufe des 20.
Jahrhunderts bekannt bzw. entdeckt wurden, erschien vielen ein wahrer
Quellenkern, also die tatsächliche Existenz alter Überlieferungen, nicht
ausgeschlossen.
Seit Anfang der 1920er Jahre setzte sich Herman Wirth für die
Quellenechtheit ein und gab 1933 die OLH in einer neuen Edition heraus,
allerdings selektierte er seiner Meinung nach hinzugedichtete Passagen
von „echten“ und kürzte so das Original. In einer mit großem Interesse
durch die Öffentlichkeit verfolgten Diskussion von Wissenschaftlern über
die „Chronik“ sprachen sich 1934 diverse Koriphäen – u.a. Gustav Neckel
– gegen die Echtheit aus.
Herman Wirth schrieb: „Diese Chronik hatten wir Utrechter Studenten von
unserem Professor J.W.Muller in einem Kolleg 1904 als eine amüsante
Fälschung kurz erwähnen hören und autoritäts-pflichtmäßig mit belächelt.
Die Runenschrift sollte aus einem Rad entstanden und mit der Sonne
herumgeschrieben worden sein. Und dieses Rad wäre das älteste Sinnbild
eines monotheistischen Gottesbegriffes gewesen usw. Nun hatte ich
1923/24 schon auf Grund früh- und vorgeschichtlicher Denkmäler, die in
diesem Zusammenhang nicht erkannt bzw. unbeachtet geblieben waren, die
Überzeugung gewonnen, daß die germanische Runenschrift ursprünglich eine
kalendarische Kultsymbolik gewesen sein müßte, eine Jahressymbolreihe
eines achtfach geteilten Kalender-Rades, einer Kalenderscheibe. So
horchte ich hell auf, als mir auch damit Mullers Kolleggeschichte wieder
in Erinnerung zurückgerufen wurde. Denn die Chronik erzählte mir da, was
ich mein ureigenstes Arbeitsergebnis wähnte.“
417 Seiten, zahlreiche Bilder im Anhang. Broschur (Paperback). Mit Ergänzung: O. Sufferth: Zum
Streit um die Oera-Linda-Chronik
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